Wie wir heute wissen, wird dieser Freitag nicht in den Chroniken uns ferner, fremder Mächte als „Weltuntergangstag der Erde“ Einzug finden. Kein Maya traute sich an diesem Abend nach Mieming. Jedenfalls wurde keiner/keine gesehen. Das widersprach dem Zeremoniell (doch dazu später mehr…).
Für die Jahreszeit zu viele Autos
Gesehen haben wir trotz Mieminger Adventkalender, nicht zählbarer privater und halboffizieller Weihnachtsfeiern und der Öffnung des 21. Adventfensters bei den „Zappelmäusen“ in Untermieming, „für die Jahreszeit zu viele“ Autos auf und um den Parkplatz der Moosalm in Barwies. Es kamen über 100 Gäste zur Weihnachtslesung in die Moosalm. „Wir mussten sogar noch die Gartenbänke von der Terrasse holen“, so Michael Gäns.
Wie der Abgang von einem 1959er Château Lafite Rothschild
Wer sein Auto stehen lassen konnte oder gar keines besitzt, kam zu Fuss. Es schneite heftig und hinter jedem 4. Baum wurde ein Gesetzeshüter vermutet. Jeder einzelne war sich sicher, wenn der Uli in der Moosalm liest, gibt es, – wenn überhaupt – einen unvergesslichen „Final Countdown“. Nicht eingeweihte Abendläufer rieben sich beim Vorbeihasten ihre, von der Abend-Kälte nasskalten Augen und fragten sich auf ihrer Hatz durch den pulvrigen Schnee „Was mag da nur los sein…??“. Weil die, die ständig in Bewegung sind, es ja auch nicht wissen können – Uli Brée war da. Wer aber zu den Wissenden gehörte, kam deshalb sicherheitshalber ein bis zwei Stündchen früher zum Lesungsort. Und das Vorprogramm ist ja schließlich so etwas wie „unplugged“. Für Kenner das Salz in der Suppe, der Abgang von einem 1959er Château Lafite Rothschild oder der mittlere Zug einer handgedrehten Arturo Fuente.
Eigentlich merkwürdig. Spreche ich mit Gott, dann heißt es Beten. Spricht er mit mir, dann heißt es Psychose. Uli Brée
„Wegen dem würde ich glatt nochmal in die Kirche eintreten…“
Das Lesungen ursprünglich einer Theaterbühne bedurften, wissen viele, besonders der Schauspieler, Kabarettist und/oder Drehbuch-Autor Uli Brée. So war keiner der Zu-früh-Gekommenen ungewöhnlich erstaunt als der Uli unseren Pfarrer auf die imaginäre Bühne rief „Komm doch hoch zu mir, Paulinus (…das heißt – ähm – zu mir, denn wir haben ja hier keine Bühne)!“ Und zu mir „…wegen dem würde ich glatt noch einmal in die Kirche eintreten“. Wenn uns Uli Brée in die Moosalm zieht, ist Paulinus dabei. Er mag unseren Pfarrer Mag. Paulinus Ngozika Okachi aus der Diözese Enugu im afrikanischen Nigeria. Später, im 2. Teil seiner Weihnachtslesung wird er Paulinus ankündigen und dabei sagen „…ach übrigens, wir glauben doch, Nigeria ist ein Dritte-Welt-Land, dem wir helfen müssten? Das ist Blödsinn, denn wer mal dort war, weiß, dass Nigeria ein hochentwickeltes Land ist. Aber habt Ihr mal darüber nachgedacht, dass Paulinus uns schon, in unserer ersten Welt, nach nur drei Jahren erfolgreich missioniert hat?“ (anerkennendes Lachen, nach gefühlten zwei hundertstel Sekunden Nachdenkzeit).
Weltuntergang 21.12.12
(Uli Brée liest dazu den Text eines nicht bekannten Autoren)
05.00 Uhr Wecken der Weltbevölkerung durch Glocken und Sirenen
06.00 Uhr Ankunft der Mayas
07.00 Uhr Ankunft der Ausserirdischen
08.00 Uhr Ankunft der Präsidenten der G8 Länder
09.00 Uhr Ankunft aller Heiligen, Märtyrer etc…
10.00 Uhr Hymne zum Ende der Welt: „Highway to hell“ und Adieu mein kleiner Gardeoffizier“
10.30 Uhr Grußworte des Papstes
11.45 Uhr Apokalypse-Brunch
13.00 Uhr UNO-Generalversammlung zum Ende der Welt
15.00 Uhr Schweigeminute
15.05 Uhr Beginn des offiziellen Festaktes
17.00 Uhr Buffet-Eröffnung
18.00 Uhr Abreise der Mayas
19.00 Uhr Feuerwerk und Fußballmatch „Brasilien gegen Weltauswahl“
21.00 Uhr Abflug aller Erzengel und Engel
22.00 Uhr Ende der Zeremonie – Afterhour (Open Bar) FREIBIER
23.30 Uhr Vergabe von Gratis-3D-Brillen
24.00 Uhr Weltuntergang (inkl. „The Final Countdown“)
– Danach Welteruntergangs-Aftershow-Party –
José und Claudia Terán präsentieren Ausschnitte ihrer „Weihnachts-CD“
Ungefähr in der Mitte des von José Terán komponierten und mit der Konzertgitarre vorgetragenen „La Espera“ – angedacht als, so José, „…mein Geschenk an alle Menschen, die in der schönsten Zeit des Jahres an Frieden, Ruhe und an ihre Familien denken“, raunt mir mein Nachbar, der „Moosalm-Michl“ zu, das hat alles meine Frau, die Marjo organisiert. Marjo Reijonen sei die eigentliche Gastgeberin und dafür, dass sie so etwas mache, bewundere er sie der Michl, der er, als Konservativer, sei doch mehr für die „geradlinige Gastronomie“. Was nicht heißen solle, dass es ihm nicht ausgesprochen gut gefalle, „wenn der Uli auftritt“. Claudia Terán singt mit glasklarer und wunderschön-einfühlsamer Stimme „La Navidad“, ein neues spanisches Weihnachtslied, von ihr komponiert. Dann höre ich von meinem rechts sitzenden Nachbarn nur noch „Psst – das musst Du jetzt aber hören!“.
Auszüge aus:
Penetrant besinnlich (Uli Brée)
Wenn die Flocken wieder fallen
und die Glocken wieder schallen
und ein Streichquartett spielt täglich Sonderschicht.
Die ganze Welt macht leis auf weise
und du denkst dir heimlich: „Sch…!
Denn Besinnlichkeit wird wochenlang für jedermann zur Pflicht.
Auf der Stiege riecht’s nach Braten.
Selbst für Todeskandidaten
gibt es in der Zelle einen Weihnachtsbaum mit Stern.
Jeder Soldat kriegt noch ein Seifchen,
jede Kugel noch ein Schleifchen;
denn wir haben uns ja alle schrecklich gern.
Wir überspringen die drei folgenden Verse und zitieren dafür die letzten drei Verse des Vortrages „Penetrant besinnlich“ in vollem Umfang:
Dann singen drei Tenöre
und ein Haufen Kinderchöre –
im Playback immer einen Schlag zu spät.
Alle Menschen habens‘ eilig.
Die Verkäufer tun so heilig
und verkaufen dir nen Gutschein für ne Präventiv-Diät.
Und es funkeln in der Ferne
postmoderne Weihnachtssterne!
Doch zum Glück tat Kitsch noch keinem weh.
Ein Weihnachtsmann mit Schlitten –
Mariah Careys geile Titten
auf der neuen „Christmas Jingle Bells“-CD!
Alle Bände von Adorno
und dazu ein Weihnachtsporno
sind bei Müller jetzt im Sonderangebot.
Einen Haribo-Kalender –
André Rieu auf jedem Sender!
…ein altes Osterei springt einsam in den Tod.
So mancher Fremdschämer übersah den vorgehaltenen Spiegel
Die stimmungsvolle und der Intonation des Vortrages (mit seinen Höhen und Tiefen) angemessen, zupfte Gitarren-Virtuose José Terán die Begleitmusik. Für alle notorischen „Fremdschämer“, folgte der Dialog zwischen einem „österreichischen Außenpolitiker“ und einer „zugereisten ukrainischen Wissenschaftlerin“, die sich, allen ihr bekannten Vorurteilen der westeuropäischen Welt zwar sehr klug und überdurchschnittlich gebildet, aber ziemlich „overdressed“ präsentierte. Jede Pointe des Duos saß und wer glaubte, dass politisches Kabarett überzeichnen muss, um gut zu sein, urteilte zu früh. So mancher Lacher übersah sich selbst, im vorgehaltenen Spiegel. „Unglaublich“, sagt jemand hinter mir und klatscht begeistert beide Hände, „wie im richtigen Leben“. Jemand antwortet „Da hast Du recht!“.
Auszüge aus:
Ich weiß (Jacques Brell/Herman van Veen)
Ich weiß, es gibt noch immer Kriege
und nicht nur in Afghanistan
Ich weiß, gefragt sind heut Intrige
Gerissenheit und Größenwahn
Ich weiß auch Reiche sind bestechlich
dass Kluge Dummheiten begehen
Ich weiß, wer weich ist, gilt als schwächlich
doch ich kann keinen weinen sehn
Ich weiß dass junge Leute morden
im Dienste für mehr Menschlichkeit
die größten Gauner tragen Orden
der Zeitgeist macht sich ziemlich breit
Ich weiß, dass Menschen sich belügen,
selbst wenn sie vor dem Spiegel stehen
weil sie sich selber nicht genügen
doch ich kann keinen weinen sehn
Ich weiss auch wo Vergleiche hinken,
doch steht in meinem Tagebuch
der Volksmund sagt, Geld kann nicht stinken
woran erinnert sein Geruch
Die Menschen sind oft so durchtrieben
und soviel Schlimmes ist geschehen
dass mir nicht leicht fällt sie zu lieben
doch ich kann keinen weinen sehn
Afrika – Reichtum, was wir Armut nennen
Sie merken es sicher, verehrte Leserin, verehrter Leser: Das war mehr als eine „Lesung“ und wenn sie sich jetzt noch den Schauspieler Uli Brée verbal vorstellen können (falls nicht, helfen da unsere Bilder, siehe unten), ahnen Sie es, diese Weihnachtslesung in der Moosalm waren Lesungen, politisches Kabarett, eine Musikalische Soiree, geistreiche Begegnungen, aber vor allem großes Theater. Die erbetenen Spenden dieser und der gleichnamigen Lesung an gleichem Ort (zwei Wochen früher), spendete Uli Brée und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter in voller Höhe Kindern eines kleinen Dorfes in Nigeria. Ca. 3500 Euro. Deshalb waren Pfarrer Paulinus und Judith Außerlechner Gäste von Uli Brée. Im September besuchten sie mit Pfarrer Paulinus Okachi Nigeria und ein paar Dörfer, in „denen das Reichtum ist, was wir Armut nennen“, so Judith Außerlechner, die ihre Eigenkomposition „Afrika….“ vortrug.
Wir schenken uns nur Kleinigkeiten
Ihr Vortrag und ihre Ausführungen, aber auch der Dialog zwischen Pfarrer Paulinus und Uli Brée waren für alle Zuhörerinnen und Zuhörer be- und ergreifend zugleich. Vermutlich verspürten die ein oder anderen ein verhaltenes Schamgefühl. Drei Tage vor Weihnachten. Die meisten Geschenke waren gekauft, mit dicken Schleifen in teure Folien gehüllt und offen versteckt. Uli Brée. „Gibt es das Christkind? Kann sein. Jedenfalls schenken wir uns heuer nur Kleinigkeiten. Wie viele, das Christkind meiner Familie beschert, lese ich nach Weihnachten in meinen Kontoauszügen“. Uns wurde insgesamt nicht zu viel versprochen als Uli Brée seine Weihnachtslesung für den Veranstaltungskalender ankündigte „…ich werde mich besinnungslos Besinnlich lesen“.
„Dinner for one“ für Berufs-MiemingerInnen
Dann kommt so etwas wie „Dinner for one“ für Berufs-Miemingerinnen und -Mieminger:
Auszüge aus:
Zweite Zugabe – Edith! (Uli Brée)
Wir treffen uns fast jeden Freitag, ganz in der Früh… noch bevor der Tag erwacht… Da spürst du die klare, kalte, saubere Luft, der Nebel liegt über dem Tal… und du denkst dir: Ja! Es ist wieder soweit. Heute fahren wir zu ihr!
Simon steht schon ungeduldig vor der Türe und erwartet mich. Ein Tag für echte Männer. Wir öffnen das Garagentor, streifen lässig unsere Handschuhe über, reißen die Türen von meinem Transporter auf und hauen das ganze Zeug einfach hinten rein. Einfach alles. Weg damit!
Wir lassen den Motor an, der Diesel nagelt nervös vor sich hin, als ginge es ihm wie uns, als könnte auch er es nicht erwarten zu IHR zu kommen. Wir rollen einfach die Straße runter, unter der Brücke durch, dann scharf rechts, dann wieder links… gleich sind wir da… jeder Meter bringt uns ihr ein kleines Stückchen näher… unsere Herzen scheppern wie wahnsinnig… aber vielleicht sind das auch nur leere Flaschen hinten drin… wir lassen die Fenster runter und stecken unsere Köpfe raus in den Wind… in der Hoffnung den süßen eigenwilligen Geruch einzufangen, der SIE umgibt… denn – wir fahren heute zu ihr!
Und dann… dann… ist es soweit… dann passiert das was immer passiert. Wir stehn wie jeden Freitag an der gleichen Stelle… beim Nadelöhr zum Recyclinghof… nur wenige Meter von IHR entfernt… EDITH… THE MASTER OF THE DIRT; LADY RECYCLE; ALLEINIGE HERRSCHERIN ÜBER PAPIER; KARTON & PLASTIK!
Nur wenige Meter trennen uns von ihr… wir können sie bereits sehen… aber was hilft’s… es ist wie jeden Freitag… ein anderer Gläubiger hat sein Auto mitten in der Auffahrt abgestellt und bringt der heiligen Edith seine Opfer dar, anstatt aufzurücken… anstatt uns endlich den Weg zur heiligen Mutter Restmüll freizumachen… vor lauter Verzweiflung könnte ich in die Kartonpresse springen!
…/…will man einen seiner Freunde treffen, weil man ihn die ganze Woche nicht erreicht hat, dann fährt man am besten am Samstag Vormittag auf ein, zwei Sackerln Restmüll zu Edith. Was früher der Dorfplatz oder Dorfwirt war, das ist heute der Recyclinghof. Sind wir uns ehrlich! Hier trifft man sich, hier tauscht man Gedankenmüll aus und wenn man nett fragt, füllt einem Edith vielleicht sogar die leere Pfandflasche mit ein paar Schlückchen Bier wieder auf…./… Andererseits… der Recyclinghof erdet auch irgendwie…muss ich zugeben… ich kann mich genau erinnern… ich hatte eine Filmpremiere in Hamburg von einem Film den ich geschrieben habe… volle Oper… das ganze Programm wie man es aus Hollywood und so kennt… Red Carpet… roter Teppich… recyclebar… ist mir gleich aufgefallen… ein Haufen Reporter… posen für die Fotografen… riesen Kino… viel Applaus… Autogramme… Interviews bis 12 in der Nacht… Nobelhotel… Limousinenservice zurück zum Flughafen… und dann… am nächsten Morgen: Zu Edith auf den Recyclinghof. Das Weißglas darein, das bunte darein, Metall dahinten, Papier da vorne und Restmüll auf die Waage. Das erdet. Da hebt keiner ab. Das bringt dich wieder voll auf den verunreinigten Boden der recyclebaren Tatsachen zurück. Wirklich wahr.
Wir leben jetzt schon über 8 Jahre hier und meine Frau war in der ganzen Zeit 2 mal am Recyclinghof… das war noch vor Edith… und dann endlich hatte ich sie soweit… konnte meine Frau endlich dazu überreden, sich von meiner wöchentlichen Reise in die recycelte Vorhölle selber zu überzeugen. Endlich würde ich ihr Zeigen, welche Qualen ich jedes Mal erleide…/… wenn Edith mich wieder vor allen bloß stellt, nur weil mir ein Blatt Papier zwischen die Kartons gerutscht ist und sie mir mit der Kartonpresse droht, wenn ich das nicht sofort wieder in Ordnung bringe… endlich… endlich würde ich meiner Frau zeigen wie ungerecht und nicht recyclefähig das Leben sein kann.
Wir fahren also hin… und was passiert? Es passiert nichts! Es ist alles frei, kein Stau… nichts. …/… Edith kommt angelaufen… und ich höre denke, ja… ja, jetzt ist es soweit, jetzt wird sie uns so richtig schön zusammen scheißen… gut, dass ich noch heimlich ein bisschen Restmüll unter den Plastikmüll gemischt habe… ich sehe alle noch vor mir… in Zeitlupe… sie rennt auf mich zu… greift nach einem der Säcke und sagt: „Komm, ich helfe euch, dann geht’s schneller! Das hat sie wirklich gesagt. … Edith HILFT uns beim Ausladen. Lachend. Fröhlich. Das Glück dieser Erde auf Händen tragend. Völlig wurscht, dass da Restmüll im Plastikmüll ist.
„Komm, ich helf euch, dann geht’s schneller.“
Das war der Moment, wo ich den Glauben an den Recyclinghof verloren habe. Zuhause hat meine Frau gesagt: „Also ich weiß nicht was du hast, die ist doch total nett!!“
Fotos: Knut Kuckel
Über Uli Brée: Ausbildung an der Schauspielschule Krauss in Wien, 1986 gründet Uli Brée das Statt-Theater-Wien, schreibt und produziert gemeinsam mit Bernhard Asslaber und Klaus Pieber das Kabarettprogramm „Männer-Schmerzen“. Über sieben Jahre lang wird es vor ausverkauften Zuschauersälen gespielt und avanciert zum Kultstück. Bühne: Nach einigen Jahren als Autor und Darsteller in der Kabarett- und Theaterszene, zählt Uli Brée heute zu den renommiertesten Theater- und Fernsehautoren im deutschsprachigen Raum. Uli Brée lebt mit seiner Familie in Mieming.
- Uli Brée → www.uli-bree.at
- José Terán → http://joseteran.weebly.com
- Moosalm → www.moosalm.at