Kolumne von Knut Kuckel.
Höre ich das Herantraben einer riesigen Büffelherde? Ja, es dröhnt so. Das Stampfen der schweren Tiere klingt nach Flucht.
Wie benommen taste ich nach der Fernbedienung. Finde sie nicht. Wahrscheinlich bin ich bei einem Western vor dem Fernseher eingeschlafen. Die Herde kam näher. Das alles klang sehr bedrohlich. Dann höre ich die Verfolger. Keine Schüsse, keine Pferdehufen, keine Cowboys. Stattdessen die vertrauten Hirten-Rufe. „Heyaaah – hey-joooh, Heyyoohooh – und so weiter und so lauter….“.
Thema der Nacht – die Winterzeit
Am Fenster sehe ich im diffusen Schein zeitversetzt aufleuchtender Lichtquellen, dass es heftig schneite. Die Außenwelt ganz in weiß. Im Radio sagt jemand mit staatstragender Stimme „Wintereinbruch vor der Winterzeit. Je nach Seehöhe liegen Tirol und Kärnten schon unter einer Schneedecke von 45 Zentimetern“. Der Sprecher wechselt die Stimmlage und sagt aufgedrehter „Schnee im Oktober. Ein eher seltenes Ereignis. – Doch kommen wir zurück auf unser Thema, liebe Freunde der Nacht – ‚Sommer- und Winterzeit‘. In wenigen Minuten, ganz genau um 3 Uhr, werden die Uhren um eine Stunde zurückgedreht. Dann haben wir Winterzeit. Eine Stunde länger schlafen – das ist doch etwas, für uns Morgenmuffel oder??!!“ Ich denke, mit wem spricht der? Mit den noch Schlafenden oder den schon Wachen? Ein Spur zu aufgedreht. Daran denkend, dass ich in dieser Nacht noch kein Bett gesehen habe, fand ich diese Bemerkung mehr als überflüssig. Ich bin nämlich ein bekennender Morgenmuffel.
Windows 8 und mehr…
Dabei hatte ich gerade – es war noch Sommerzeit – erfolgreich das neue Microsoft-Betriebssystem Windows 8 installiert und dachte, wer hätte ernsthaft vor 27 Jahren damit gerechnet (Windows 1.0 kam damals heraus), dass Windows solch einen Erfolg haben würde? Seit 1985 habe ich alle Betriebssysteme installiert und kann sagen, heute lohnt es sich nun wirklich. Aber das nur am Rande. Was dann geschah war wohl wichtiger.
Endzeitstimmung und draußen schneit es heftig
Irgendwer läutet sehr heftig und lange meine Klingel. Das klingt wie ein regelrechtes Sturmgeläut. Kurz nach Drei!! Mir rutscht das Herz in die Hose. Ein Unglück muss geschehen sein und jetzt werden wir alle evakuiert. Dann ruft eine Stimme (ziemlich laut für die Uhrzeit) „Knuuhuut, komm‘ wir brauchen Dich!! – Mach voran, es eilt! – Und bring die Kamera mit.“ – „Wer spricht da?“ – „Der Gabriel. – Spielmann Gabriel“. Es ist soweit, sie holen mich ab. Sollte nicht heute Nacht oder spätestens Ende Oktober/Anfang November die Welt untergehen? Also doch. Jetzt sind wir dran. Gedankenblitze quälen mein Hirn. Unsere Abgase lassen das Polareis schmelzen, die Gletscher sind flüchtig und immer mehr Dörfer werden von gewaltigen Erdmassen verschluckt . Ich empfinde Scham und spüre, wie ich in Bruchteilen von Sekunden jede Hoffnung aufgebe. Dann höre ich auf zu denken. Macht ja eh keinen Sinn mehr. Ich haste die Stiege hinunter und vor der Haustüre stehen unsere Jungbauern. Oberflächlich geschätzt, zwischen sechs und acht, mir persönlich sehr gut bekannte junge Mieminger Landmänner, die offensichtlich ausgerechnet zum Weltuntergang in ihrer feinsten Tracht gewandet waren (als Windows 1.0 herauskam, waren die meisten vermutlich noch gar nicht auf der Welt…).
Die Büffel waren brave Kühe
Jetzt bin ich wach. „Wildermieming – Ihr kommt aus Wildermieming ? Vom Jungbauernball, jaaa???“ – „Jahaah, war wirklich toll“, rief der Obermieminger Erntemeister Andreas Scharmer, „aber Du glaubst nicht, was wir auf dem Heimweg, am Hotel Schwarz, erlebt haben?“ – Wir gehen ein paar Schritte gemeinsam durch die eiskalte Nacht, auf gefrorenem Weg. Dann sehe ich auf der Koppel meiner Nachbarn, unmittelbar neben dem Steirerhof, die gewaltige „Büffel-Herde“. Sechs Rindviecher der Gattung Grauvieh, stehen da. Etwas fremdelnd kommen alle langsam auf mich zu. Mit meinem ungeübten Blick mache ich drei Kälber aus. Eines dunkelbraun, dass andere hatte ein Fell wie ein Indianer-Pony. Schwarz-weiß gefleckt mit einer erstaunlichen Rücken-Tolle.
Acht Leistungsträger der Mieminger Jungbauernschaft
Ich wurde ruhiger, war wieder bei Sinnen und wollte wissen, was denn eigentlich los war? Alle redeten aufgeregt durcheinander. Im Schein einer Laterne, am Bauernhof der Familie Post, sehe ich außer dem Scharmer Markus noch die Herrschaften Grabner Andi (Steirerhof), Scharmer Andreas, Bergland Alexander, Spielmann Gabriel, Sonnweber Michael, Post Christoph und den Nachzügler Bstieler Daniel. Alle Achtung! Stattlich! – Acht Leistungsträger der Mieminger Jungbauernschaft. Der älteste von ihnen ist der Steirer. Der feiert, höre ich heraus, heute seinen 32er. (Meine herzlichsten Glückwünsche, lieber Andi!!!).
Rindviecher auf ihrer Flucht vor Schnee und Eis
Also lade ich die Jungbauern-Delegation zur Feier des anbrechenden Tages auf ein abschließendes Bier ein. Andreas Scharmer ergriff das Wort und ich hörte, dass es beim Jungbauernball in Wildermieming – ‚ohne Abstriche‘ – ganz super-toll war. Alle wären gerne noch länger geblieben, aber sie mussten – mehr oder weniger – wegen ihrer Melk-Verpflichtungen heim gehen. Auf dem Heimweg wären ihnen dann von Obermieming, Richtung Wildermieming, die Kühe entgegen gekommen. Mit rasendem Hufschlag. „Die sind wohl von ihrer Koppel ausgebrochen?“ – Verständlich, denn mal unter uns – so ganz im Vertrauen – welches Rindvieh will denn bei Temperaturen bis zu Minus 4 Grad im Schnee herumstehen? Beim Nachbarn Scharmer Konrad ist in der Nacht sogar ein Wasserschlauch zugefroren. Der Konrad meinte am Morgen, „das waren die eiskalten Winde“. So etwas hätte er Ende Oktober noch nicht erlebt.
Alle Tiere sind wieder wohlbehalten in Untermieming
Am Sonntag-Morgen, zwischen sechs und halb-sieben, hatte sich das Vieh wieder beruhigt. „Hungrig sind die alle“, höre ich den Steirer-Andi sagen, als er ihnen zwei mächtige Fuhren Heu zum Frühstück servierte. Bis dahin war noch immer unklar, wem die schönen Tiere gehören und folglich, woher sie in der Nacht kamen? – Der Grabner Andi notierte sich die einzelnen Nummern, schaute im großen Kuhbuch nach und informierte den Maurer Martin aus Untermieming, dass er seine Tiere bei ihm abholen könne. Der kam dann auch gleich, mit Traktor samt Hänger und jetzt steht das Vieh, nach seiner nächtlichen Odyssee, wieder im heimischen Stall am Wendl-Hof. Bevor die ausbrachen, waren alle auf der Brandmaht, einer Koppel unter der Bundesstraße. Die gute Nachricht: Alles ging gut aus. Kein Tier kam zu Schaden, worüber wir uns wirklich sehr, sehr freuen! Ein großes Lob geht an unsere acht Helden der Nacht, die beherzt und richtig gehandelt haben. Sie freuten sich am Morgen, durch die Zeitumstellung, eine Stunde „gewonnen“ zu haben, obwohl jetzt die Kühe einen Jetlag hätten und weniger Milch gäben (…aber für uns Morgenmuffel ist das doch was, oder??).
Sind die Tiere wirklich vor dem Wintereinbruch geflohen?
Vermutlich haben die Schneelasten die Absperrung heruntergedrückt und dann ging alles wie von alleine. Die Vermutung lag zunächst nahe, dass die Tiere vor dem plötzlichen Wintereinbruch flohen. Almmeister Klaus Scharmer glaubt das nicht: „Diese Temperaturen machen den Tieren nichts aus. Viele Bauern haben offene Ställe, da fühlt sich das Vieh, an die Sommer-Alm gewöhnt, am wohlsten und gesund ist es auch. Bei den Tieren, die das ganze Jahr im Stall sind, sieht das anders aus“.
Fotos: Knut Kuckel